Flucht & HIlfe: "Offene Arme"
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Ein kleines Protokoll

Als am 14. September 2015 klar war, dass am Abend tausende Menschen auf der Flucht ohne Dach über dem Kopf sein würden, haben ganz viele in unserer Pfarre in wenigen Stunden ein Notquartier, Dienste, Übersetzter... aufgebaut.
Wir hatten "offene Arme" - und haben vieles dazugelernt, auch wenn letztlich in unserem Notquartier kein Gast übernachtet hat. Davon erzählt dieses Protokoll...

Montag, 14. September 2015

Als am Montag gegen 11.00 Uhr so sehr Not an kurzfristiger Unterbringung ist
(es werden mehrere Tausend Flüchtlinge über die burgenländische Grenze erwartet)
und dringend appellier wird, zu helfen,
wird ganz kurzfristig geplant, in Starchant ein Notquartier zu errichten.

(Wir haben uns im Frühjahr auf der Caritas-Liste dafür nicht fix eingetragen,
weil wir ja unsere Räume definitv für den Pfarrbetrieb brauchen...
„Nur für den äußersten Notfall“, haben wir geschrieben,
der bei diesen Nachrichtenmeldungen allerdings eingetreten sein dürfte....
– und in der Pfarre ist ja in dieser Woche nicht so viel los...)

Notquartier heißt: Unterbringung für grundsätzlich eine Nacht,
für Menschen, die weiterziehen, oder evtl für zwei, drei Nächte,
um etwas auszurasten...

Keine fixe Bleibe also, aber – besser als „nichts“...
Dass wir keinerlei "Luxus" bieten können, ist klar.
Liegeplätze am Boden in Theresiensaal, Kl. Saal, Bastelraum...,
und nur eine Dusche!
Aber, so auch die Caritas, besser als nichts!
Duschen kann man im Radl
(das haben wir beim Gamperer Minstrantenlager mit 40 Personen erprobt),
Essen lässt sich organisieren,
Ausrasten geht, wenn es klare Regeln für die Nacht gibt...
Das alles, bevor der Weg dieser Leute weiter geht...

Zunächst angedacht ist das Notquartier bis Freitag,
mit der Option, evtl. doch bis Sonntag oder not-notfalls Dienstag. 

Es gibt eine Absprache zwischen Kristina, Christl und Pater Johannes erfolgt.
Wolfgang als Stv. Vorsitzender ist außer Landes und nicht erreichbar.
Wir entscheiden uns für ein Ja, mit unterschiedlich viel an Unsicherheit.

Wir entscheiden uns für ein Ja, mit unterschiedlich viel an Unsicherheit,
wie das gehen wird.
Aber: Ja.



Innerhalb von nur fünf Stunden werden - per SMS und Mail erbeten -
bereits mehr als 50 Matten, Decken, Schlafsäcke,
teilweise liebevoll überzogene Decken und Pölster und Kuscheltiere,
aber auch Hygieneartikel, Notfallsmedizin, Windeln, Socken und Nahrungsmittel von mehr als 20 Personen gebracht.
(Die Liste dazu kann jederzeit wieder abgerufen werden...)
Und - vor allem - eine Reihe einsatzbereiter Menschen ist "gestellt" und registriert...

Eine gerade nach einem diesbezüglichen Kinderkirche-Mail in der Vorwoche errichtete WhatsApp-Gruppe beginnt, ihre ersten Dienste zu leisten
und äußerst flexibel auf noch Notwendiges zu reagieren (Einkauf, Hilfe, Ladekabel, Verteiler, Föhn...),aber auch über ein eigens von Sandra eingerichtetes Doodle die geplanten Dienste zu besetzen.

Die Anfrage beim Magistrat, ob wir Leute
– wie damals beim Notquartier für Menschen aus Bosnien –
ins Ottakringer Bad zum Duschen schicken können, wird so beantwortet:
Man stelle uns gerne das Brausebad in der Friedrich-Kaiser-Gasse zur Verfügung,
sogar mit eigenem Personal, eigener Öffnung...
Ob jemand, der gerade auf der Flucht sei und so viel unterwegs,
dann von Starchant zum Duschen in die Friedrich-Kaiser-Gasse reisen wolle
– das fragt sich auch die freundliche Angestellte der MA.
Aber, danke für das Angebot...

Zur Not geht es auch hier in Starchant, da sind wir sicher.

Um 17.00 Uhr haben wir ein erstes „Teamtreffen",
in dem wir die Organisation und vor allem ein Dienstradl - erarbeiten.
Wir wollten uns da „sowieso“ treffen zum Thema „Flüchtlingshilfe“...
Es ist beeindruckend, dass schon da 25 Leute bereit sind,
für das Notquartier fix mitzumachen, Verantwortung zu übernehmen,
und - obwohl am Wochenende ja Pfarrausflug und Familienwochenende am Plan stehen
und so fast die ganze Pfarre ausgeflogen sein wird -
ein Betrieb übers Wochenende möglich ist.

Es ist spannend und berührend, zu erleben, WER aller hier bereit ist, zu helfen:
Zum Teil „alte Bekannte“,
zum Teil Leute, die bisher weniger aktiv waren,
auch einige, die seit längerem im Mail-Verteiler sind, aber sonst wenig in Kontakt mit der Pfarre.

In diesem Planungsteam sind Sandra, Kristina, Hanna, Heidi, Regina, Waltraud, Bettina und Christl.

Wir sind also bereit und direkt in Kontakt mit dem Caritas Flüchtlingstelefon,
das die Notquartier-Suchenden und die Notquartier-Anbieter vernetzt.

Am Montag gegen 17.30 werden wir informiert, dass ein Bus mit 50 Personen
zu uns kommen soll, irgendwann zwischen 18.00 und 20.00 Uhr.

Aber es kommt anders:

Die Leute haben offenbar so sehr Angst,
nicht mehr weiter Richtung Westen zu kommen,
dass sie "lieber“ vor Ort nächtigten,
um ja in der Nähe des nächsten potentiellen Zuges zu sein,
als von dort wegzufahren.

So teil es uns die Caritas am späteren Abend mit.

Wir packen also zusammen, sagten den möglichen Helferinnen und Helfern ab und gehen nach Hause.

Wie von der Caritas erbeten, ist das Telefon die ganze Nacht an,
eine Anfrage erübrigt sich gleich wieder,
und um 1.30 Uhr werden wir freundlicherweise von der Caritas gefragt,
ob wir via Arbeitersamariterbund Frühstück für „unsere Gäste“ brauchen.
Nein - denn es sind ja noch keine Leute bei uns untergebracht.

Man bleibt irgendwie wach, wartet... und hat Zeit, zum Recherchieren,
zum Nachdenken...

Wo sind die Versuche, den Krieg in Syrien zu beenden?
Wo ist die Hilfe vor Ort – in Syrien, in den Nachbarländern?
Wie kann optimale Hilfe hier bei uns laufen?
Wie groß muss die Verzweiflung sein, wenn man mit zwei Flip-Flops an den Füßen, einem Handy – um mit der Familie und ggf. anderen, die flüchten, in Kontakt sein zu können – und vielleicht dem Rest des Geldes, das man hatte, in so viel Ungewissheit aufbricht, mit so viel an Hoffnung, es „dort“ gut zu haben? Weg von einem Daheim, das vom Krieg mehr und mehr zerfleischt wird...
Was heißt das, was wir gerade erleben,
für uns selbst in unserem vergleichbar so „gemütlichen“ Hier und Jetzt?


Dienstag, 15. September 2015

Tagsüber gibt es noch einiges zu organisieren, es ist schön, zu erleben,
wie Leute aus der Pfarre am Vormittag vorbeikommen, nachfragten, anrufen,
was wir denn brauchen würden.

Listen mit den Telefonnummern aller zum Engagement Bereiten,
mit Notfallsnummern, mit Notwendigkeiten werden erstellt.

Zwischen den Notschlafplätzen singen die Swinging Babies, tanzt der Tanzkreis...
Pfarralltag trifft Flüchtlingsrealität.

Am Dienstag Abend gib es eine Ankündigung,
gleich darauf wird wieder abgesagt.
Warum, wissen wir nicht
(Eine oberösterreichische Bekannte erzählt am nächsten Tag,
es hätte einige Busse gegeben,
die von Nickelsdorf statt nach Wien
direkt an die oberösterreichisch-bayrische Grenze gefahren wären...
Vielleicht waren auch die uns angekündigten Flüchtlinge dabei?)

Wir bleiben bereit,
aber eine kurze mitternächtliche Rückabwicklung im Theresiensaal ist nötig,
um Vorbereitetes zu versorgen...

Mittwoch, 16. September 2015


Am Mittwoch um 15.30 heißt es, über das Bundesheer
kämen um 18.00 bei uns 50 Leute an, die drei Tage bleiben würden.
Ab Freitag sollte das Abendessen über das Bundesheer kommen,
bis dahin würden wir kochen bzw. Essen von Leuten aus der Pfarre bekommen.

Wir setzten alle Hebel in Bewegung,
alles - inklusive Suppe, Brot, Gemüse, Handywertkarten - ist bereit,
alle Radldienste in Viererbesetzung übernommen, der Arzt ist abrufbereit,
die Dolmetscherin (eine Frau aus dem Pfarrgebiet) wartet mit uns.

Das Gespräch mit ihr, die selbst aus Syrien stammt,
ist für uns alle sehr informativ.
Vieles versteht man erst, wenn man es erklärt bekommt...

Allerdings:
Die Menschen, die – zugewiesen vom Bundesheer - zu uns kommen könnten,
trauen sich nicht in den Bus zu steigen, teilt uns die Caritas mit.
Welche Angst muss das sein! Was muss man mitgemacht haben,
um so zu reagieren!
Gerne wären wir für sie da!
Der Mitarbeiter am Caritas Flüchtlingstelefon bittet uns, bereit zu bleiben.

In der Nacht wird uns dann mitgeteilt,
es kämen - wohl erst spät und nach und nach - Personen mit der Polizei,
die soeben einen Asylantrag stellen würden.
Wir - Hanna und Kristina als "Nachtdienst" -  legen uns also
über Nacht in Warteposition auf einer Liegematte im Theresiensaal,
Plakat auf der Kirchentür, Saaltüre etwas offen,
damit man uns auf jeden Fall findet.

Wo die erwarteten Menschen geblieben sind, wissen wir nicht. 

Donnerstag, 17. September 2015

In der frühen Früh beschließen Hanna und Kristina,
bei der Caritas nachzufragen, ob wir weiter warten sollen.
Eine Info an die, die „in Bereitschaft“ sind, ist nötig...,
eine Mitteilung an die tatenbereite Whats-App-Gruppe ebenso....

Bei einem langen und abwägenden Telefonat mit dem zuständigen Betreuer
am Caritas Flüchtlingstelefon wird ausführlich beratschlagt, was sinnvoll ist
- und letztlich gemeinsam beschlossen, dass wir unser Notquartier beenden,
weil zu diesem Zeitpunkt (am Donnerstag) ja auch kaum mehr Leute
über Nickelsdorf nach Österreich kommen
und die Caritas insgesamt die pfarrl. Notquartiere zurückzufahren plant,
da ja auch große Quartiere wie in Stadions und der Stadthalle eröffnet wurden.

Zudem haben am Mittwoch Nacht aufgrund der verstärkten Grenzkontrollen
nach Deutschland viele Menschen einen Asylantrag gestellt -
und für sie ist ein pfarrliches Notquartier,
das ja an sich wirklich nur als Not-Übergang gedacht ist,
keine sinnvolle Lösung.

Da bräuchte es Wohnungen,
was, wo man zumindest die Zeit des Asylantrags über bleiben kann...

Gerne würden wir so eine anbieten!

Diese Entscheidung besprechen wir dann auch dem Kernteam,
teilen sie allen zum Engagement bereiten und der Pfarre mit.

Im Lauf des Donnerstag-Vormittags werden alle,
die bereit waren, mitzuhelfen, über den neuen Stand der Dinge informiert,
die meisten davon persönlich, vorwiegend am Telefon.

Es sind sehr bewegende Gespräche dabei,
wie viele wichtige Überlegungen, welch kostbare Menschen!

Freitag, 18. September 2015


Am Freitag treffen sich Sandra, Bettina, Regina, Waltraud, Heidi und Kristina
zu einem "Reflexions-, Planungs- und Rück-Abwickeltreffen".

Unser „versuchtes Notquartier“ wird reflektiert, im Team überlegen wir,
wie und wo unser Engagement für Flüchtlinge weiter geht,
und dann wurde alles rückabgewickelt:

Alle verständigt, Ihre Sachen wieder zu holen, Wegräumen, die Suppe dem Kloster geschenkt, Esszeug und Hygiene der Pfarre Baumgarten gebracht (deren Notquartier noch weiter betrieben wird), Toast dem LeO-Projekt in Altottakring geliefert, Zahnbürsten einer Sozialinitiative verteilt...

Dass sich beim Suppe-Abholen vom Kloster ganz „by the way“
ein Kindergartenplatz für ein syrisches Flüchtlingskind
(die Mama wohnt im Kloster St. Benedikt)
im Kindergarten Altottkring organisieren ließ, freut uns!

Sowohl am Familienwochende als auch bei einer weiteren Kernteam-Sitzung
am Montag wird Weiteres gesammelt:
Vom konkreten Engagement in einer der Unterbringungseinheiten in unserer Nähe,
dem Fühler-Ausstrecken in Richtung Wohnung für eine Familie,
aber auch dem Unterstützen von Initiativen vor Ort (Syrien, Türkei)...

Am Freitag Abend erreicht uns dieses SMS der Caritas:

Liebe fleißige FlüchtlingshelferInnen in den Pfarren! 
Herzlichen Dank für die großartige Unterstützung und Zusammenarbeit in den vergangenen
Tagen und Nächten. Gemeinsam konnten wir von 10. - 18.9.2015 bis zu 1.500 Notschlafplätze
pro Nacht zur Verfügung stellen und dabei wurden rund 6.500 Übernachtungen verzeichnet.
Diese spontane und umfangreiche Hilfsaktion wurde durch mehr als 40 Wiener Pfarren möglich gemacht.
Das Kontingent der pfarrlichen Notschlafplätze in dieser Form wird momentan zurückgefahren
bzw. eingestellt.
Wir danken allen Pfarren, die im Bedarfsfall wieder als Notquartier bereitstehen. Für dieses große Zeichen der Nächstenliebe möchten wir Ihnen und Euch herzlich im Namen der Erzdiözese Wien danken!
Das Team für pfarrliche Notquartiere

(Ab Samstag kommen wieder viele Menschen über die Grenze... Hoffentlich reichen die großen Notunterkünfte...)

 

Conclusio


Das Wichtigste im Rückblick ist, zu sehen, dass es nicht "umsonst" war,
hier Platz und Zeit für 50 Menschen anzubieten,
auch wenn - letztlich - dieses Angebot so nicht genützt wurde,
wie WIR es uns vorgestellt haben.

Die Caritas KANN nur dann genügend Plätze anbieten,
wenn diese auch vorhanden sind.
Und es ist sehr viel besser, es gibt ein paar "unterbeschäftigte" Pfarren,
als es gibt zu wenig Plätze für Menschen auf der Flucht.

Das ist eine zentrale Erfahrung von "Nächstenliebe":
Ein Angebot zu setzen, das ernst gemeint und völlig gut organisiert ist,
aber damit zu leben, dass es anders kommt.
Befriedigender mag sein, wenn das Angebot "ankommt", freilich.
Wichtig ist aber vielmehr, die Möglichkeit zu Hilfe zu geben.
Mehr können wir oft nicht tun.

Da sein, die Arme offen halten.

Und - wir haben einiges gelernt...
Dass wir - im Notfall - schnell und gut organisiert arbeiten können.
Dass es ein Pool an Leuten gibt, die mit beeindruckender Kompetenz
und Flexibilität zu spontanem Engagement bereit sind.

Wie wir unsere Kommunikation (noch) (besser) strukturieren müssen...
Dass es so wichtig ist, auf Not spontan zu reagieren.

Dass es nicht einfach, aber wichtig ist, den Grundgedanken der Nächstenliebe – die „offenen Arme“ - über die mögliche „Enttäuschung,
dass unser Angebot nicht genutzt wurde“, zu stellen.
Dass wir als Team weiter und fest überlegen, wie wir helfen können,
und mit diesen Informationen versuchen wollen,
die, die bereit sich, sich zu engagieren,

- neben deren möglichem persönlichen Einsatz dort
und da – als Pfarre zu bündeln.

 

Kristina Sengschmied, Sandra Dörfler und Hanna Jovanaovic 23. Sept.2015

Rückblickend - ein halbes Jahr später -, wissen wir, dass viele, die so spontan bereit waren, beim Notquartier im Einsatz zu sein, zu denen gehören, die in den weiteren Initiativen der Pfarre tätig sein werden, sie mit viel Einsatz "dran" bleiben, mit Spenden jeder Art, mit Zeit, mit der Überzeugung, dass wir uns hier gemeinsam für jene Menschen einsetzen wollen, die bei uns Schutz und Heimat suchen.

ks, März 2016

(red)


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