Rorate in der dritten Adventwoche
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Viel Licht, und viel Aushalten-Müssen von Gegensätzlichkeiten in unserer Gegenwart... Ambiguitätstoleranz... im Evangelium und in den den Gedanken, die uns begleiten... im Lied....

Letzten Sonntag war Gaudete-Sonntag. Mein Lateinunterricht liegt zwar - zum Glück - bereits in der Vergangenheit, aber an Imperativbildung erinnere ich mich noch: Freuet euch! Bald ist Weihnachten.  Freue ich mich? Ja, schon. Aber so richtig? Irgendwie nicht. So vieles, was ich mit Weihnachten verbinde, fällt heuer - wieder - aus, ist einfach anders: Verwandte besuchen - besser nicht. Mit Freund*innen auf den Christkindlmarkt gehen - Lockdown. In Jugendstunden gemeinsam diese Rorate vorbereiten - nur im virtuellen Raum. So oft höre ich “Naja, jetzt kennen wir das eh schon.” Ist diese neue Normalität deshalb nicht mehr anstrengend? Doch. Und wie. Und das darf sie auch sein! Wenn es darum geht, sich auf Weihnachten zu freuen, sich über all das Schöne zu freuen, was diese Zeit mit sich bringt - immer mit sich bringt, auch in Zeiten von Lockdowns - dann spüre ich heuer noch stärker als im Vorjahr eine Spannung in mir: Ich freue mich und gleichzeitig bin ich frustriert. In diesen Tagen sperrt alles wieder auf, als wäre nie etwas gewesen und ich fühle mich dennoch nicht erleichtert, im Gegenteil. Ich bin verärgert, ich bin wütend, ich bin müde.  Der Alltag bleibt vorerst einmal eintönig. Mein Studium ist immer noch online. In meinen Lernpausen lese ich Liveticker zu Coronazahlen und Triagen und sorge mich um vulnerable Personen in meinem allernächsten Umfeld, von denen ich davon ausgehen muss, dass sie - wenn’s drauf ankommt - weniger Chance auf ein Intensivbett haben als jemand, der seinen schweren Verlauf einer Covid-Erkrankung aufgrund einer mangelnden Impfung bewusst für sich in Kauf genommen hat. Ich lese von einer Spaltung der Gesellschaft und verstehe die Formulierung nicht: Was ist das denn für eine Gesellschaft, in der das eigene Empfinden über der Solidarität mit anderen steht? Was ist das für eine Gesellschaft, in der meine persönliche Freiheit vulnerable Personen einschränkt? Seit wann definieren wir Freiheitsrechte so? Seit wann ist es akzeptabel Positionen mit rechtsradikalen Gruppierungen zu teilen und diese lautstark zu vertreten? Ich will nicht wahrhaben, dass das angeblich unsere Gesellschaft ist, aber wenn dem so sei, dann ist der Riss, der da angeblich durch verschiedene Perspektiven auf den Umgang mit der Pandemie entsteht einerseits schon lange da und andererseits viel, viel tiefer als wir uns vielleicht eingestehen wollen.   Gibt es also heuer keinen Grund zur Weihnachtsfreude? Nein, ganz im Gegenteil. Sind viele, nicht alle, meiner Sorgen eigentlich auch ein Luxusproblem? Ja. Darf ich mich deshalb nicht darüber ärgern, bin ich undankbar? Nein! Mir ist völlig bewusst, wie privilegiert ich nach wie vor bin. Wie reich mein Leben ist - an sozialen Kontakten, an Sicherheit, an Fürsorge, an Möglichkeiten. Wie viel es gibt, für das ich so unendlich dankbar bin.  Ich bin überzeugt, dass Gott uns Menschen als komplexe Wesen geschaffen hat und das bedeutet manchmal, Spannungen auszuhalten. Sich auf Weihnachten zu freuen und trotzdem Raum zu haben für Enttäuschung. Vielleicht ist mir deshalb gerade heuer das Sinnbild von Licht inmitten der Dunkelheit näher und zugänglicher als je zuvor. Beim Vorbereiten meiner Gedanken habe ich selbst gemerkt, wie sehr mir an diesem Punkt eine positive, erbauliche Message zum Mitnehmen fehlt. Ein halbherziges “Schwamm drüber, merry Christmas” fühlt sich aber völlig falsch an. In diesem Sinne wünsche ich uns allen viel Kraft um Spannungen auszuhalten und ich wünsche uns den Raum, uns trotz allem ehrlich und aufrichtig auf das Wunder von Weihnachten zu freuen. Zu feiern, so wie das inmitten einer Pandemie eben möglich und vor allem im Sinne gelebter Solidarität sinnvoll ist. Das ist für mich Gemeinschaft, so wünsche ich mir Glauben leben: Miteinander und mittendrin im Leben, das manchmal so anders läuft als erhofft.

Stella Sp.

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Fotos: Kristina S.

(red)


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