Pfarrchronik des Jahres 1945

Verfasst vom damaligen Pfarrer Hermann Franke.

Ende des zweiten Weltkrieges

Die Kriegsereignisse haben uns doch mehr hergenommen, als wir selbst wahrhaben wollten.

Am 2. Jänner, dem Geburtstag der hl. Theresia, haben wir uns wieder unter ihren Schutz gestellt.

Weil die Weihnachtsferien als Kälteferien in diesem armen Winter verlängert wurden, konnten wir auch lange nicht an die Abhaltung der Seelsorgestunden für die Schüler unserer Pfarre denken.

Die Einflüge feindlicher Flugzeuge wurden häufiger. Am 15. Jänner wurde die Pfarrkirche Neulerchenfeld völlig zerstört.

Erst am 12. Februar konnten wir versuchen, mit dem Erstkommunionunterricht wieder zu beginnen, und hielten am 14. Februar die erste Seelsorgestunde für alle Schüler unserer Pfarre.

Die Einflüge der feindlichen Flieger wiederholten sich fast täglich, der Schrecken der Bewohner ist unbeschreiblich. Noch ehe Fliegeralarm durch den Rundfunk gegeben wird, kommen über die Steinhofstraße (jetzt: Johann Staud-Straße) ganze Autokolonnen mit Angehörigen der Gauleitung und der Partei (NSDAP), die im Walde einen Luftschutzbunker haben. Dagegen gibt es in unserer Pfarrgemeinde außer den Kellerräumen nicht einmal einen Luftschutzbunker, sondern nur einen sogenannten Splittergraben, der von niemanden aufgesucht wird. (Er war auf dem ehemaligen Sportplatz der Siedlung Starchant, dessen letzter Rest die heutige Pfarrwiese ist.) Am 22. März schlug ein Fehltreffer in das Haus Gallitzinstraße 49 ein. Der Mann ist zur Zeit im Felde. Seine Frau wurde mit ihrem 8 Monate alten Kind durch die Bombe erschlagen. So war jede Hilfe, auch meine priesterliche, da ich mit den andern Helfern sofort zum Hause eilte, zu spät. Nun ist die Angst und das Bangen auch in unserer Pfarrgemeinde noch größer.

Doch am Palmsonntag und in der Karwoche konnten wir den Gottesdienst noch wie im Vorjahr halten. So war unsere Kirche am zweiten Ostertag bei der Abendmesse geradezu überfüllt. "Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden!" Das Wort aus dem Evangelium an diesem Tage war unser Stoß- und Sturmgebet.

Inzwischen war die Militärbehörde an mich herangetreten, die Kirche zu schließen und die Pfarrgemeinde für eine Evakuierung unseres Pfarrgebietes zu beeinflussen, weil vom Liebhartstal bis zum Baumgartner Friedhof zur Abwehr gegen die Russen Artillerie aufgefahren werden sollte. Nur Gott konnte helfen, und er half! Zu dieser Abwehr ist es nicht mehr gekommen. Wohl wurde über unser Pfarrgebiet zum Teil und über unsere Kirche zwei Tage lang geschossen, bis dann die Kunde, die Russen seien über Hütteldorf und Baumgarten schon in die Stadt vorgedrungen, wie eine Erlösung war. Doch es kam anders. Als die russischen Soldaten nun von den inneren Bezirken in unser Pfarrgebiet kamen, war es mit der Ruhe auf Wochen vorbei. Es gab kein Haus, wo sie nicht eindrangen. In der Not wurde der Versuch eines Selbstschutzes gemacht. Sobald die Soldaten in ein Haus gingen, gaben die Nachbarn mit Kochgeschirr und dergleichen für die ganze Gegend Alarm und zumeist erreichte man wirklich, daß sie dann abzogen.


Chaos nach Kriegsende

Seit Ende der Karwoche war die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung vollständig zusammengebrochen. Es gab kaum noch welche; das erste Brot, im Glücksfall 1 kg für eine Person, mußte für Tage reichen. Fleisch, Eier und dergleichen gab es überhaupt nicht und Milch höchstens für die Kinder. Nur Erbsen wurden der Bevölkerung zugeteilt und die waren durchwegs wurmig. Trotz ihrer Verzweiflung hatte die Bevölkerung noch Humor: "Den Krieg haben wir überstanden, ob wir aber die Befreiung überstehen werden?"

Eine Katastrophe für sich war in diesen Tagen das Begräbniswesen. Der Tod hielt reiche Ernte; aber bald gab es keinen Sarg mehr. Viele Angehörige verfertigten selbst einen solchen oder ließen ihn aus einfachen Brettern zusammensetzen. So oft ich zum Ottakringer Friedhof ging, und das geschah täglich, kam ich einen halben Tag lang nicht mehr zurück. Die zuständige Geistlichkeit hatte in den meisten Fällen, weil die Fernsprechleitungen nicht funktionierten, nicht verständigt werden können, bzw. hatten sie, weil die Straßenbahn nicht verkehrte, nicht kommen können. So wurde man immer wieder von den Angehörigen um die Bestattung ihrer Toten ersucht.

Entsprechend einem von der Besatzungsmacht erlassenen Ausgehverbot bis 7 Uhr früh, konnte die hl. Messe an Sonn- und Feiertagen erst um 7.15 Uhr beginnen. Das Ausgehverbot wurde ab 11. Juni wieder aufgehoben.

Der neue Umsturz brachte für die Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei manche Unannehmlichkeiten. Auch aus unserer Pfarre wurden eine Reihe von ihnen, zum Teil sogar in der Nacht, in Haft genommen. Als Seelsorger wurde ich um Vermittlung angerufen. Nachdem meine Intervention beim sogenannten Polizeipräsidenten unseres Bezirks, einem Kommunisten, ergebnislos war, sprach ich mit Erfolg auf der russischen Kommandantur unseres Bezirkes vor und konnte durch eine beigestellte Ordonanz beim Polizeipräsidenten die sofortige Freilassung der Häftlinge aus unserer Pfarre erwirken.


Neubeginn

Mitte April setzte eine Welle von Wiederaufnahmen in die katholische Kirche ein.

Erst ab Ende Mai wurden wieder die Pfarrjugendstunden gehalten. Die Pfarrjugend hatte nach dem Beginn ihres Gruppenlebens einen guten Zuspruch: es bildeten sich drei Gruppen für die weibliche und zwei Gruppen für die männliche Pfarrjugend.

Unser Fronleichnamsumgang konnte heuer wieder außerhalb der Kirche gehalten werden. Der Prozessionsweg war diesmal kürzer als früher: Pönningerweg, Theodor Storm-Weg, Franz Eichert-Weg und über Mörikeweg zur Kirche zurück. Die Fronleichnamsaltäre wurden am Franziskusbrunnen, am Ende des Franz Eichert-Weges (er endete damals bei den Häusern Nr. 11 bzw. 20), in der Mitte des Mörikeweges und an der Kirche aufgestellt. Eine Prozessionsmusik konnte diesmal nicht gewonnen werden. Die Beteiligung war groß.

Die Schulferien beginnen heuer, weil der Schulunterricht so lange ausfallen mußte, erst Ende Juli; bis dahin wurden auch die Seelsorgestunden und die Pfarrjugendstunden regelmäßig gehalten. Erst im Juni fand sich die Kath. Aktion mit den übrigen Gliederungen wieder zusammen. Am 8. Juli konnte erst die Erstkommunion mit 22 Kindern stattfinden.


Tod einer treuen Mitarbeiterin

Am 25. August starb die Oberlehrerin a. D. Frau Flora Natalia Maria Rauecker, Edle von Lilienheim, die große Helferin unserer Pfarrgemeinde und der Kirchengemeinde, bzw. der Gottessiedlung in Starchant vorher. Insbesondere hatte sie seit Bestehen der "Frohen Kindheit" vom Jahre 1926 an in der Leitung derselben und der pädagogischen Leitung unseres Kindergartens und Hortes und seit Beginn meiner Seelsorge hier im Jahre 1933 als fast einzige Seelsorgehelferin und seit Einführung der Erhebung der Kirchenbeiträge nur um Gottes Lohn fast Übermenschliches geleistet. Sie starb an Ruhr. Auch für sie konnte nur ein einfacher, selbstgefertigter Holzsarg besorgt werden. Wir durften sie in der Krypta unserer Kirche aufbahren. Bei den Exequien in unserer Kirche sang der Kirchenchor. Sie wurde am 30. August auf dem Grinzinger Friedhof, Gruppe 3, Grab 29, beigesetzt.


Die Baracke auf der Pfarrwiese als Pfarrsaal

Seit Beendigung des Krieges bemühten wir uns um den Rückerhalt der Baracke, die uns als Kindergarten und Hort im Jahre 1938, gleich nach der Machtergreifung, beschlagnahmt worden war. Aber die Siedlung Starchant, auf deren Grundstück sie steht, erhob Eigentumsanspruch. Nach mehrmaligen Verhandlungen mit dem Obmann der Genossenschaft "Heim", Gemeinderat Ullreich, konnte ich zunächst nur die Möglichkeit der Benutzung der Baracke durch uns erreichen. Dafür mußten wir zunächst dieselbe wieder herstellen lassen und das bedeutete fast eine Unmöglichkeit. Das ganze Inventar fehlte. Der Innenteil der doppelten Bretterwand war zur Hälfte von der Hitlerjugend verheizt worden.


Die Vier im Jeep

Inzwischen waren auch amerikanische, englische und französische Truppen zur Besetzung nach Wien gekommen und die Stadt in vier Sektoren für je einen der vier Truppenkörper aufgeteilt worden; unser Pfarrgebiet gehört zum französischen Sektor; wir weinen den Russen keine Träne nach.


Erstes Arbeitsjahr nach dem Krieg

Als inzwischen durch die UNRRA in den Kinderheimstätten Ausspeisungen ermöglicht wurden, waren die Schwestern aus dem Liebhartstal wieder bereit, die Hortnerin und Kindergärtnerin zu stellen. Hort und Kindergarten waren wieder gut besucht, hauptsächlich wohl wegen der genannten Ausspeisung.

Während des Ferienmonates August konsolidierten sich langsam die Verhältnisse.

Der Religionsunterricht wurde wie vor 1938 in den Schulen eingeführt. Die St. Theresienandachten wurden im September wieder täglich gehalten.

Die Festpredigt und den Pontifikalsegen am Patrozinium am 7. Oktober hielt Prälat Wagner.

Die Herbststürme haben unser Kirchendach arg hergenommen. Die Beschaffung der Dachziegel, sogenannte Biberschwänze, mit denen unser Kirchendach gedeckt ist, macht allergrößte Schwierigkeiten.

Das Taufbecken, das durch uns von Prof. Dr. Hollay der Firma Hauser in Auftrag gegeben war, hatte dieser in den Kriegstagen in der Dombauhütte in Sicherheit bringen wollen, aber es ist gerade dort von einer Bombe getroffen und, noch nicht vollendet, zum Teil zerstört worden. Gleich wohl war der Dombaumeister wieder in unserer Kirche und hat hier sein besonderes Interesse für die Innenausstattung derselben unter seiner Leitung erneut ausgesprochen, obgleich diese über unsere Verhältnisse wirklich hinausgeht.

Am 19. Oktober starb Josef Kue, der seit Bestehen unserer Kirchen- bzw. Pfarrgemeinde ein apostolischer Helfer und im besonderen die Seele des eucharistischen Männerapostolates war. Der Tote wurde in der Krypta unserer Kirche aufgebahrt und auf dem Ottakringer Friedhof beigesetzt.

Beim feierlichen Requiem für die im Kriege Gefallenen und Verstorbenen am Allerseelentage gab ich die 48 Namen aus unserer Pfarrgemeinde bekannt.

Am 30. November erließ die provisorische Regierung das sogenannte Schillinggesetz. Reichsmarknoten und Militärschillingnoten sind vom 13. bis 20. Dezember den Einlieferungsstellen zu übergeben und diese haben 30 von Hundert abzubuchen.

Die Adventzeit konnten wir nun wieder in unserer Art halten. Vor der Rorate beten und singen wir den "Engel des Herrn" als das eigentliche Adventgebet nach Mariazeller Art. Und in dreifacher Tonlage durch den Priester und die Gläubigen das "Ecce Dominus venit". In der Rorate ist täglich eine Kurzpredigt über die einzelnen Verse des ersten und zweiten Kapitels des Lukas-Evangeliums.

Auch heuer scheint es uns geraten, die Weihnachtsmette schon um 18 Uhr mit einer vorhergehenden Krippenfeier zu halten.

Das kirchliche Leben im Jahre 1945 in unserer Pfarrgemeinde konnte ich in der Statistik mit folgenden Zahlen angeben: zu unserer Pfarre gehören 2.600 Katholiken; innerhalb derselben wohnen 120 Nichtkatholiken. Hl. Taufen wurden 39 in unserer Pfarre gespendet, 14 Brautpaare spendeten sich in unserer Pfarre das Sakrament der Ehe, 3 Brautpaare wurden auswärts getraut. 36 Versehgänge wurden gemacht. 47 Pfarrkinder sind im letzten Jahre gestorben, bzw. wurden von uns kirchlich beerdigt. Die Zahl der hl. Kommunionen ist auf 20.200 zurückgegangen. 78 hauptsächlich Gottgläubige und Glaubenslose sind in unserer Pfarre zur katholischen Kirche zurückgekehrt.

Unser TeDeum bei der Jahresschlußandacht war heuer viel froher als in den Vorjahren.

Den Auszug, die Erklärungen in Klammer und die Zwischentitel erstellte Dkfm. Peter Engel.


(Pfarrer Franke)


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