Geschichte der Pfarre Starchant
Verfasst von Pfarrer Hermann Franke

Mit dem 1. Jänner 1933 beginne ich (Pfarrer Franke, Anm.) die Chronik der Kirche zur hl. Theresia v. Kinde Jesus, Wien XVI., Starchant.
Die Grundsteinlegung dieser Kirche war am 9. Dezember 1928, die feierliche Konsekration am 3. November 1929. Da bis heute keine Chronik dieser Kirche geführt wurde, muß und will ich so viel als möglich, die Geschichte der Gründung unserer Kirche nachholen, wobei nur historisch verbürgte Tatsachen die Grundlage sein sollen:


Die Theresienkirche liegt im Bereich der Pfarre Alt-Ottakring, die älteste Geschichte dieser Pfarre ist also auch die Urgeschichte unserer werdenden Kirchengemeinde.
Die ersten Nachrichten über die Gründung Ottakrings fußen im Urgrunde der Sage. Der Rugierfürst und spätere römische König Odoaker soll demnach der Gründer Ottakrings gewesen sein. Diese Annahme galt lange als untrüglich und die Gemeindeväter von Ottakring hielten noch 1883 daran fest, als sie einem neuen Straßenzug die Bezeichnung Odoakergasse gaben. Die Herleitung des Namens Ottakring von Odoaker wurde volkstümlich und blieb auch dann noch aufrecht, als sich herausstellte, daß die Wohnstätte des Einsiedlers Severin Favianis nicht mit Wien sondern mit Mautern gleich wäre, wohin Odoaker seinerzeit gekommen ist. Der Geschichtskundige hätte aber auch wissen müssen, daß Odoaker der Führer germanischer Söldner war, denen es eher um die Zerstörung einer Siedlung als um die Gründung einer solchen zu tun war.
Als geschichtlich völlig zu verwerfen ist die Sage von der Gründung Ottakrings durch den König von Böhmen Ottokar II. Hier hat nur die Klangfarbe eines Namens mitgespielt und Verwirrung angerichtet. Aus der Tatsache, daß Ottokar II. erst 1251 nach Österreich kam, Ottakring urkundlich aber schon 1230 bestand, ergibt sich die Unstichhaltigkeit dieser Sage.
Ein Schriftsteller im Jahre 1799 gibt über die Entstehung Ottakrings eine andere Version. Mit der Bedeutung, daß in der Ursprache der Deutschen "Ona" Bach heißt und "Ring" so viel als kleiner Hüttenverein bedeutet, also Ottakring wegen seiner Lage an der Quelle und am Lauf eines Baches ursprünglich Onaring, das heißt Dorf am Bach, geheißen hat. Gegen diese ungeschichtliche Version wendet sich ein Gelehrter, Dr. Müller, der nachweist, daß die Ortsnamen dieser Art in der nächsten Umgebung von Wien wie Penzing, Hietzing, Sievering, u.s.w. in die Zeit des Bestandes der karolingischen Ostmark zu verlegen sind.
Viel wahrscheinlicher als all das Genannte ist darum die Sage, daß Karl d. Große der Gründer Ottakrings gewesen sei. Die gefürchteten Avaren hatten seit 568 das ganze Land zwischen Theiß und Enns besetzt und übten eine wahre Schreckensherrschaft aus. Zur Stärkung ihrer Macht schlossen sie anno 788 mit dem Bajuwarenherzog Thassilo ein Bündnis gegen Karl d. Gr. Der mächtige Kaiser aber besiegte noch im gleichen Jahre den abtrünnigen Fürsten und wandte sich mit aller Kraft gegen die Avaren. In achtjährigen Kämpfen wurden die Horden geschlagen und ihre Ringe zerstört. Ottakring soll solch ein Avarenring gewesen sein und hat nachweislich damals Uttaring, das heißt Avarenring geheißen.
In der ersten großen Geschichte der Gemeinde Ottakrings schwört der verdienstvolle Forscher Karl Schneider auf die Gründung Ottakrings zur Zeit Karls d. Gr. In die von Karl d. Gr. zum Schutz gegen räuberische Einfälle gegründete Ostmark zwischen Enns und Raab entsendete er Ansiedler, die alsbald eine rührige Tätigkeit entfalteten: Bayern, Franken und Sachsen, die sich mit der bereits ansäßigen Bevölkerung vermengten. Um das Jahr 800 soll ein bajuwarischer Edelmann, namens Otacher, mit dem Gebiet belehnt worden sein, das sich von der Quellzone des Ottakringerbaches bis zu den späteren Vorstädten erstreckte.
Wie aus Aufzeichnungen und Plänen hervorgeht, haben wir das ursprüngliche Ottakring an der Stelle zu suchen, wo sich heute der Friedhof befindet, also in der nächsten Nähe unserer Theresienkirche und in dem eigentlichen Gebiet der werdenden Kirchengemeinde. Hier haben friedfertige Bajuwaren den Kampf mit der Natur aufgenommen und in zäher Unverdrossenheit sich eine Heimat geschaffen, an der sie mit rührender Liebe hingen. "Drangen auch hie und da Bären und Wölfe aus den dichten Wäldern in die Behausungen ein, verwüstete auch der brausende Waldbach die Kulturen, brachen die gefürchteten Slaven unter Svatopluk sengend und brennend ein, die Ottakringer hielten an der Scholle fest, sie wurde ihnen heilig", schreibt ein Historiker.
Es steht geschichtlich fest, daß die ersten Besiedler Ottakrings sich zum Christentum bekannten. Darum reifte auch frühzeitig der Plan zur Erbauung eines Gotteshauses. Die Sage läßt die älteste Kirche Ottakrings - nach der Überlieferung Lacius - von Karl d. Gr. erbauen. Die schlichte und kleine Kirche war von 7 mächtigen Nußbäumen flankiert, die in der späteren Geschichte Ottakrings öftere Erwähnung finden. Urkundlich wird die Kirche "ad septem nuces" (zu den 7 Nußbäumen) erst 1236 genannt. Sie stand in der Gegend des heutigen Friedhofes, im so genannten ältesten Teil Ottakrings. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß dieses erste Wahrzeichen christlicher Kultur von den Feinden zerstört wurde, genaue Einzelheiten fehlen aber gänzlich. - Ruhe und Frieden kamen in diese Gegend erst zu jener Zeit, als die Babenberger Markgrafen der ottonischen Ostmark wurden, die Magyaren durch ihre Niederlage am Lechfeld ihre Macht und Stärke einbüßten und endlich Leopold d. Heilige seine Residenz auf dem Kahlenberg aufschlug. Die Gründung des Stiftes Klosterneuburg wurde für Ottakring bedeutungsvoll, denn es sollte nicht lange dauern, da kam auch dieses Dorf unter die Herrschaft der bald mächtigen Probstei: Aus den Ansiedlern Ottakrings, die sich bisher ihre Gesetze selbst gegeben und nur dem König Gehorsam geleistet hatten, wurden nun im Laufe der Zeit leibeigene Bauern, die dem Stifte Klosterneuburg die Herrschaft anerkennen mußten. Dieses geänderte Verhältnis verlieh dem Ort aber noch mehr den Charakter einer Dorfgemeinschaft. Sicherlich dehnte sich das Gebiet des Dorfes von der Quelle des Ottakringerbaches bis fast an die Grenzen der späteren Ansiedlungen Lerchenfeld und Breitenfeld aus. Nach Nordwesten reichte das Gebiet bis an die Gemarkungen, welche der Halterbach durchfließt. Die Südgrenze war durch die Quellen des Rosen- und Ameisbaches gegeben.
Es ist einleuchtend, daß der hügelige Boden die Ansiedler schon frühzeitig bewog, sich mit der Kultur der Weinrebe zu befassen. Neben dem Weinbau blühte Obstbau und Viehzucht. Ackerbau wurde angeblich nur zur Deckung des eigenen Bedarfes betrieben. Zur Bezeichnung der Grundstücke wählte man ursprünglich die Namen des Eigentümers; dieser Name blieb auch, wenn Besitzwechsel eintrat. Eigene Flur- und Riednamen bildeten sich erst im 14. Jahrhundert aus. Von alten Riednamen, wie solche in Urkunden vorkommen, sind für das Gebiet unserer werdenden Kirchengemeinde hier zu nennen: Liebhart, Ameispach, Waidäckher und Starchant.
Wenngleich sich im Zeitenlaufe aus der mehr als bescheidenen bajuwarischen Ansiedlung ein stattliches Bauerndorf entwickelt hatte, dessen Bewohner sich eines gewissen Wohlstandes erfreuten, so erzählt die Geschichte fast in allen Jahrhunderten von Seuchen, feindlichen Einfällen und Hungersnöten.
Es ist zweifellos, daß die erste Ansiedlung mit dem Zentrum der alten Kirche (der Lamprechts- oder Lambertskirche) nach und nach an Bedeutung verlor. Die Schönheit der Gegend, die Ergiebigkeit der Weinberge lockte immer neue Ansiedler nach dem Dörfchen Ottakring. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts bildete sich an der Stelle, wo sich der Ottakringerbach in einer Krümmung nach Südosten schlang, beim alten Freihof, dem späteren Schottenhof ein vollständig neuer Ortsteil, der bald die alte Siedlung an Ansehen überflügelte. Schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts errichtete man im neuen Teil eine große Kapelle (Wolfgangskapelle) und bald gab der Pfarrer seine Wohnung an der Lamprechtskirche auf und übersiedelte in die Nähe der neuerbauten Kapelle, die am 22. Juli 1416 durch Bischof Andreas von Passau eingeweiht wurde. Wie wir aus zeitgenössischen Berichten erfahren, gelangten die beiden Kirchen in Ottakring zu großem Ansehen und zählte besonders die Lamprechtskirche eine Zeitlang zu den viel besuchten Wallfahrtskirchen.
Als aber im Jahre 1484 in Ottakring die ungarischen Scharen des berüchtigten Hauptmannes Tschernahora wüteten, steckten sie die beiden Kirchen in Brand und verbrannten auch den Freihof. Nach der zwar ergebnislosen ersten Belagerung Wiens durch die Türken vom 27. Sept. bis 14. Okt. 1529 lag auch das Dorf Ottakring in Schutt und Asche. Die meisten Bewohner waren geflohen und es schien als würde nie mehr neues Leben aus den Ruinen erblühen. 1530 wurde aber Alt-Ottakring mit den bei der im Jahre 1468 erfolgten Gründung des Wiener Bistums noch der Gerichtsbarkeit des Bistums Passau verbliebenen Landpfarreien dem Wiener Bischof unterstellt. Von dort aus setzte man alle Kräfte ein, um die zerstörten Kirchen und Pfarrhöfe wieder neu zu errichten und speziell Bischof Johannes II. Heigerlein erwarb sich um Ottakring große Verdienste und er weihte 1531 beide Kirchen in Ottakring wieder ein. Auch sein Nachfolger im Amte, Bischof Friedrich Nausea, nahm sich der Ottakringer Pfarre fürsorglich an.
Nach der Verbreitung des Luthertums bekannte sich der Besitzer des Freihofes von Ottakring, Ambros Brassicani, Ritter von Kholburg offen zum Protestantismus und auf dem Territorium des Freihofes griff die neue Lehre rasch um sich. Die streng katholische Ortsobrigkeit Ottakrings bot alles auf, um ketzerische Prediger fernzuhalten, konnte es aber nicht verhindern, daß ein sektischer Prädikant aus Weidlingau, durch Brassicani unterstützt, zahllose Predigten hielt, viele Anhänger fand und das Abendmahl im lutherischen Sinne spendete. Brassicani und seine Diener verübten dabei im Dorfe manche Gewalttätigkeiten und gaben vor allem dem katholischen Pfarrer keine Ruhe, so daß dieser den Bischof um dringende Hilfe bitten mußte. Aber nach dem Tode Brassicanis schwand der Protestantismus wieder vollständig aus Ottakring. Die Anhänger der neuen Lehre fanden keinen Rückhalt mehr und die Prädikanten verließen langsam wieder das Dorf. Selbst die Familie Brassicani kehrte nach dem Tode des Oberhauptes wieder in den Schoß der kath. Kirche zurück wie ein Grabstein neben dem Altare beim Abbruch der Lamprechtskirche mit der Inschrift der Gemahlin Brassicanis bekundete. Aber bessere Zeiten wollten sich für Ottakring lange nicht einstellen. Zu all den Übeln trat noch eine der fürchterlichsten Heimsuchungen, die Pest. 1543, 1558, 1624, 1656 und vor allem 1679 forderte diese entsetzliche Seuche in Ottakring viele Opfer. Noch 1680 starben in Ottakring 199 Dorfgenossen an der Pest, fast der dritte Teil der Gesamtbevölkerung.
Nach dem Erlöschen der Pest währte es lange Zeit bis wieder Ruhe und Seelenfrieden in die Herzen der Dorfbewohner Ottakrings einzogen. Langsam kündete sich zwar die Morgenröte einer besseren Zeit geheimnisvoll an, doch sie blieb nur ein Phantom, denn ein neues Unheil kam über die schwer heimgesuchten und wieder etwas hoffnungsfreudigeren Menschen, die Türkengefahr. Am 19. Juli 1683 ließen sich die ersten Truppen der Türkenreiterei auf dem Wienerberg sehen. Bald überschwemmten die feindlichen Heeresmassen Hietzing, Penzing, Ottakring, Hernals und Währing. Während der eigentlichen Belagerung schonten die Türken zwar die genannten Ortschaften, als aber Sobieski mit seinem Heere die Türkenbelagerer in Hernals und Ottakring stürmte, fielen die Türken, maßlos in ihrer Rache, über die wenigen Dorfinsassen her, mordeten eine große Anzahl, plünderten das Dorf und steckten es in Brand. Der restliche Teil Ottakrings mit der St. Lamprechtskirche - die Wolfgangskapelle blieb verschont - glich einem Schutthaufen. "Nur die starke Heimatliebe und der eiserne Wille der kerngesunden deutschen Bewohner Ottakrings waren imstande das Werk des Neuaufbaues zu vollführen." Das Gotteshaus, die St. Lamprechtskirche, wurde wieder neu errichtet, doch an einen Aufbau der um die Kirche liegenden Bauernhäuser wollte niemand mehr denken. So verschwand der älteste Teil des Dorfes vollständig. Die älteste Siedlung Ottakrings gehörte der Geschichte an. Die Trümmerhaufen um die Lamprechtskirche schwanden bald und Äcker und Wiesen entstanden an der Stelle, wo sich ehemals glückliche Menschen ihres Daseins erfreuten.

(red)


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